Stell dir vor, du bist Personalverantwortlicher in einem großen Unternehmen. Du bekommst zwei Bewerbungen: eine von einem Mann namens Alexander Müller und eine von einer Frau namens Anna Schulze. Obwohl beide gleich qualifiziert sind, merkst du unbewusst, dass du dazu neigst, Alexander eher zu bevorzugen. Genau hier kommt der Begriff „unbewusste Vorurteile“ ins Spiel.
Unbewusste Vorurteile – auch unter dem englischen Begriff Unconscious Bias bekannt – beeinflussen unsere Entscheidungsfindung, ohne dass wir es bemerken. Im Alltag begegnen wir ihnen ständig: im Gesundheitswesen, bei beruflichen Begegnungen oder in scheinbar harmlosen sozialen Interaktionen. Obwohl viele von uns davon überzeugt sind, objektiv zu urteilen, spielen Stereotypen und Diskriminierung eine große Rolle in unseren Entscheidungen.
In diesem Artikel erfährst du, wie und warum es zu unbewussten Vorurteilen kommt, welche Auswirkungen sie haben und was man tun kann, um sie zu erkennen. Zwischen 90% unserer Wahrnehmungs- und Denkprozesse laufen unbewusst ab, und pro Sekunde nehmen wir etwa 11 Millionen Informationen auf, können aber nur 40 bis 50 verarbeiten. Das bedeutet, dass unser Gehirn viele Entscheidungen schneller und oft auf Basis von Stereotypen trifft.
Ein bekanntes Video aus dem Jahr 2016, veröffentlicht von der Uni Köln, zeigt eindrucksvoll, wie unbewusste Vorurteile in der Praxis aussehen und welche Folgen sie haben können. Weiterführende Quellen und Literatur wie „The Brain, Decisions, and Unconscious Bias“ von Habermacher, Peters und Ghadiri oder das „Unconscious Bias Workbook“ von Floria Moghimi bieten eine tiefere Einsicht und praktische Hilfsmittel, um mit unbewussten Vorurteilen umzugehen.
Was ist Unconscious Bias?
Unconscious Bias, auf Deutsch oft als unbewusste Vorurteile bezeichnet, bezieht sich auf kognitive Wahrnehmungsverzerrungen, die tief im Unterbewusstsein verankert sind. Diese Verzerrungen wirken wie mentale Abkürzungen und helfen uns, schnelle Entscheidungen zu treffen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Laut dem Kirwan Institute umfassen solche kognitiven Wahrnehmungsverzerrungen sowohl positive als auch negative Einschätzungen und können ohne aktive Kontrolle einer Person aktiviert werden.
Ein Beispiel für implizite Voreingenommenheit ist, wenn Arbeitgeber Entscheidungen über die Einstellung von Mitarbeitern treffen und unbewusst Kandidaten bevorzugen, deren Namen ihnen familiärer erscheinen. Dies zeigt, wie tief verwurzelte Prozesse in unseren Köpfen wirken können, die wir nicht sofort erkennen. Solche unbewussten Biases haben das Potenzial, erhebliche Auswirkungen auf das Berufsleben zu haben, insbesondere bei der Personalauswahl und Leistungsbewertungen.
Es gibt mehrere Merkmale, die zu Unconscious Bias führen können, darunter Geschlecht, Hautfarbe, Alter, Name und Bildungsstand. Stereotypaktivierung kann zu unbewussten Biases oder zu echten Vorurteilen führen. Oftmals entstehen diese Verzerrungen durch gesellschaftliche Diskriminierungsprozesse, die im Gehirn verankert sind. Ein klassisches Beispiel ist das automatische Ansprechen eines männlichen Begleiters im Geschäft, wenn es um technische Produkte geht – eine typische implizite Voreingenommenheit.
Tatsächlich listet Wikipedia mehr als 175 bekannte Unconscious Biases auf, die unser Verhalten und unsere Entscheidungen beeinflussen. Der Grund, warum implizite Voreingenommenheit so problematisch ist, liegt darin, dass sie zu Benachteiligungen und Diskriminierungen führen kann – sei es durch das Einbeziehen oder Ausschließen von Personen aufgrund von Stereotypen. In Pflegeheimen etwa kann es zur Ausgrenzung älterer Personen kommen, einfach aufgrund ihres Alters.
Es ist daher umso wichtiger, sich dieser unbewussten Denkmuster bewusst zu werden und sie aktiv zu hinterfragen. Damit setzen wir einen wichtigen Schritt in Richtung einer inklusiveren und gerechteren Gesellschaft.
Um die Wirkungen von Unconscious Bias zu verstehen und zu minimieren, sind passende Schulungsprogramme und Ressourcen erforderlich. Mehr zu diesem Thema erfahren Sie hier.
Wie entstehen unbewusste Vorurteile?
Unser Gehirn ist ein Phänomen der Informationsverarbeitung im Gehirn. Es sucht ständig nach Mustererkennung, um komplexe Entscheidungen schnell und effizient zu treffen. Diese neurologischen Prozesse spielen uns oft einen Streich, indem sie Vorurteile unbewusst formen. Aber wie genau passiert das?
Die Rolle des Gehirns
Ohne dass wir es merken, führt die Informationsverarbeitung im Gehirn dazu, dass bestimmte neurologische Prozesse Muster erkennen und daraus Schlussfolgerungen ziehen. Das limbische System und der präfrontale Kortex sind entscheidende Akteure. Studien zeigen, dass Stereotype und unbewusste Vorurteile entstehen, weil unser Gehirn bestrebt ist, Entscheidungen auf der Grundlage früherer Erfahrungen und assoziativer Erinnerungen zu treffen. Diese Mustererkennung ist an sich keine schlechte Sache – sie hilft uns im Alltag. Aber sie kann auch zu fehlerhaften Urteilen und diskriminierendem Verhalten führen, vor allem im beruflichen Kontext.
Einfluss von Lebenserfahrungen
Lebenserfahrungen und soziale Einflüsse spielen eine große Rolle bei der Bildung von Vorurteilen. Unsere Interaktionen, Medienkonsum und kulturellen Normen prägen unsere Sichtweise und verstärken bestimmte Stereotypen. Die Sozialpsychologie hat gezeigt, dass wiederholte Exposition gegenüber bestimmten Meinungen und Bildern zu tief verwurzelten Überzeugungen führt. Im Arbeitsprozess kann dies bedeuten, dass wir ohne es zu wissen, einseitige Entscheidungen treffen. Die Neurologie unterstützt dies, indem sie zeigt, wie bestimmte Bahnen in unserem Gehirn verstärkt werden, je öfter sie genutzt werden. Und so sitzen wir in der Falle der eigenen Vorurteile, ohne es überhaupt wahrzunehmen.
Die verschiedenen Typen des Unconscious Bias
Unconscious Bias schleicht sich oft unbemerkt in unsere Entscheidungsprozesse ein. Häufig sind uns diese unterbewussten Vorurteile nicht einmal bewusst, und doch beeinflussen sie unsere Wahrnehmung und Handlungen. Werfen wir einen Blick auf die verschiedenen Typen des Unconscious Bias.
Gender Bias
Der Geschlechtsbezogener Verzerrungseffekt, oft als Gender Bias bezeichnet, zeigt sich in vielen Bereichen des Lebens, besonders aber im Arbeitsumfeld. So verdienen Frauen immer noch weniger als Männer – im Jahr 2021 lag der geschlechtsspezifische Lohnunterschied in Deutschland bei etwa 18%. Firmen mit diversen Teams haben jedoch eine bis zu 36% höhere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich profitabel zu sein (McKinsey, 2015). Effektives Recruiting ist daher entscheidend für den Aufbau solcher Teams.
Altersdiskriminierung
Altersdiskriminierung, oder Ageism, betrifft besonders ältere Arbeitnehmende. Laut einer AARP-Umfrage haben rund 60% der Beschäftigten über 45 Jahre entweder selbst Altersdiskriminierung erfahren oder diese beobachtet. Stereotypes und das Beharren auf dem Status Quo erschweren es oft, die Erfahrungen und Fähigkeiten älterer Mitarbeiter:innen zu nutzen. Dabei zeigt eine Studie, dass eine vielfältige Belegschaft zu stärkerer Motivation und Mitarbeiter:innenbindung führt (Chamberlain, 2016).
Voreingenommenheit aufgrund des Namens
Ein weiteres Problem ist die Name Bias – die Voreingenommenheit aufgrund des Namens. Namen können bei der Personalauswahl zu unwissender Bevorzugung führen, wodurch qualifizierte Kandidat:innen übersehen werden. Die Daten zeigen, dass Blind Hiring-Methoden (bei denen Namen und Fotos aus den Lebensläufen entfernt werden) helfen können, diese Vorurteile zu mindern. Effektiver Einsatz von Blind Hiring kann die Vielfalt und somit den Unternehmenserfolg erhöhen (Kersting & Ott, 2016).
Typ des Bias | Beispiele im Arbeitsumfeld | Möglichkeiten der Prävention |
---|---|---|
Gender Bias | Ungleiche Bezahlung, wenige Frauen in Führungspositionen | Gleichstellungspolitik, Diversity-Trainings |
Altersdiskriminierung | Bevorzugung jüngerer Bewerber:innen | Förderung lebenslangen Lernens, altersdiverse Teams |
Name Bias | Übersehen bestimmter Namen bei Bewerbungen | Blind Hiring, anonyme Bewerbungsverfahren |
Wie Unconscious Bias unsere Entscheidungen beeinflusst
Unconscious Biases haben tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Entscheidungen im Berufsleben. Besonders bemerkenswert ist der Halo-Effekt, der dazu führt, dass eine normschön wahrgenommene Person als kompetenter eingestuft wird, was zu einer Verzerrung bei der Bewertung von Kompetenzen führen kann. Auf der anderen Seite bewirkt der Horn-Effekt, dass negative Aspekte einer Person alle positiven Aspekte überstrahlen können, wodurch wichtige Informationen benachteiligt oder nicht beachtet werden.
In der Personalauswahl zeigt sich der Einfluss der Biases besonders deutlich. Der Impliziter Assoziationstest (IAT) der Harvard University verdeutlicht, wie diese unterbewussten Voreingenommenheiten uns beeinflussen. Studien zeigen, dass der Confirmation Bias dazu führt, dass wir unbewusst nach Informationen suchen, die unsere bereits bestehenden Annahmen bestätigen, anstatt ausgewogen nach Beweisen zu suchen, die unsere Annahmen widerlegen könnten. Diese kognitive Verzerrung kann die Qualität der Entscheidungsfindung erheblich beeinträchtigen.
Des Weiteren ist der Groupthink Bias ein Phänomen, das in Teams und Unternehmen zu einheitlichem Denken führen kann und die Vielfalt der Ideen und Perspektiven einschränkt. Dies kann zu stagnierendem Wachstum und Innovation führen. Studien, darunter jene des Sachverständigenrats Deutscher Stiftungen für Integration und Migration, zeigen auf, dass Unternehmen, die ihre Unconscious Biases erkennen und minimieren, eine gerechtere, inklusivere und leistungsfähigere Unternehmenskultur schaffen können.
Ein bewusster Umgang mit diesen Voreingenommenheiten und eine regelmäßige Reflexion des eigenen Denkens und Handelns sind entscheidend, um die besten Talente zu fördern und das volle Potenzial der Mitarbeitenden auszuschöpfen. Unternehmen, die diesen Weg gehen, schaffen nicht nur eine gerechtere Atmosphäre, sondern steigern auch die Wahrscheinlichkeit eines überdurchschnittlichen Geschäftserfolgs.
FAQ
Was ist Unconscious Bias?
Wie entstehen unbewusste Vorurteile?
Welche Arten von Unconscious Bias gibt es?
Was ist Gender Bias?
Wie beeinflusst Altersdiskriminierung unsere Entscheidungen?
Was versteht man unter Voreingenommenheit aufgrund des Namens?
Wie wirkt sich Unconscious Bias auf Entscheidungen im Berufsleben aus?
Welche Rolle spielt das Gehirn bei unbewussten Vorurteilen?
Wie beeinflussen Lebenserfahrungen unsere unbewussten Vorurteile?
Gibt es Strategien zur Prävention von Unconscious Bias?
Welche wissenschaftlichen Studien gibt es zum Thema Unconscious Bias?
Gibt es barrierefreie Ressourcen zum Thema Unconscious Bias?
Manuela Schiemer beschäftigt sich seit über 8 Jahren intensiv mit Psychologie. Ihre Leidenschaft liegt darin, psychologische Mechanismen und die Beweggründe hinter menschlichem Verhalten zu erforschen. Derzeit arbeitet sie an ihrem ersten Buch, das sich mit kognitiven Verzerrungen (Biases) auseinandersetzt und spannende Einblicke in unbewusste Denkprozesse bietet.