Stell dir vor, du bist gerade in einer Besprechung mit deinem Vorgesetzten und dein Team hat ein wichtiges Projekt erfolgreich abgeschlossen. Du fühlst dich großartig und denkst: „Das habe ich super gemacht!“ Wochen später läuft ein anderes Projekt jedoch nicht so gut, und sofort weist du die Schuld anderen zu: „Eigentlich lag das nur an den schlechten Vorgaben von oben“. Dieses Phänomen nennt man den Self-Serving Bias.
Interessanterweise ist der Self-Serving Bias nicht nur im Berufsleben präsent. In Studien wurde festgestellt, dass Athleten ihre Siege eher ihren eigenen Fähigkeiten zuschreiben, während sie Niederlagen oft auf äußere Umstände wie das Wetter oder den Schiedsrichter schieben. Es ist eine Art der Selbstwahrnehmung, bei der Menschen kognitive Verzerrungen nutzen, um ihr Selbstwertgefühl zu schützen.
In diesem Artikel erfährst du, wie und warum es zu dem Self-Serving Bias kommt, welche Auswirkungen er hat und was man tun kann, um ihn zu erkennen.
Was ist der Self-Serving Bias?
Der Self-Serving Bias, auch bekannt als selbstwertdienliche Verzerrung oder Self-Attribution Bias, ist eine kognitive Verzerrung, bei der Menschen dazu neigen, positive Ergebnisse ihren eigenen Fähigkeiten zuzuschreiben, während sie Misserfolge äußeren Faktoren oder Pech zuordnen. Diese Verzerrung tritt in vielen Lebensbereichen auf, ist aber besonders häufig im finanziellen und akademischen Kontext zu beobachten.
Laut einer Studie von D.T. Miller & M. Ross (1975) zeigen selbstwertdienliche Verzerrungen eine Präferenz dafür, eigene Erfolge auf innere Ursachen zu attribuieren und Misserfolge auf äußere Ursachen zurückzuführen. Dieses Verhalten dient dem Schutz und der Stärkung des Selbstwertgefühls, wie T.S. Duval und P.J. Silvia (2002) in ihren Forschungen hervorheben.
Selbstwertsteigernde Verzerrungen und selbstschützende Verzerrungen sind Unterkategorien des Self-Serving Bias. Dabei zeigt sich, dass ein Börsenneuling mit übermäßigem Selbstvertrauen agieren könnte, was zu einer unvernünftigen Erhöhung der Einsätze führen kann. Schlechte Ergebnisse werden dann auf äußere Faktoren geschoben, wodurch ein Lernprozess verhindert wird.
Interessanterweise neigen laut einer Untersuchung von J. Greenberg et al. (1982) Manager dazu, Misserfolge auf externe Faktoren oder Mitarbeiter zu schieben, während diese wiederum die Unternehmensführung oder externe Einflüsse verantwortlich machen. Diese Tendenz zur selbstwertdienlichen Verzerrung in der Attribution kann die Zusammenarbeit und das Vertrauen im Team beeinträchtigen.
Studien von E. Aronson, T. D. Wilson und R. M. Akert (2008) betonen, dass die selbstwertdienliche Verzerrung ein stabiles und positives Selbstbild aufrechterhalten soll. Ein Investmenttagebuch kann dazu beitragen, dem Self-Serving Bias entgegenzuwirken, indem es eine kritische Reflektion eigener Fehler fördert und somit zu besseren Entscheidungen führt.
Die psychologischen Hintergründe des Self-Serving Bias
Der Self-Serving Bias ist tief in der Psychologie verwurzelt und geht mit verschiedenen Mechanismen einher, die unser Selbstwertgefühl schützen und erhöhen. Studien haben seit den 70er Jahren aufgezeigt, wie das Konstrukts des Selbst in der Sozialpsychologie und der Entwicklungspsychologie fruchtbare Erkenntnisse hervorgebracht hat. Der Self-Serving Bias spiegelt sich oft in zwei Hauptmustern wider: die selbstwertsteigernde Verzerrung und die selbstschützende Verzerrung.
Selbstwertsteigernde Verzerrung
Die selbstwertsteigernde Verzerrung ist ein prominenter Bestandteil des Self-Serving Bias, bei der Individuen ihre Erfolge auf ihre eigenen Fähigkeiten zurückführen. Diese Art der Verzerrung sorgt dafür, dass wir automatisch positive Ergebnisse als Beweis für unsere Kompetenz sehen, selbst wenn objektive Kriterien fehlen. Das Selbstkonzept, welches in Bereiche wie körperliches, akademisches oder soziales Selbstkonzept unterteilt werden kann, trägt dazu bei, relevante Informationen schnell zu verarbeiten und nach Möglichkeiten zur Selbstwerterhöhung zu suchen.
Selbstschützende Verzerrung
Im Gegensatz dazu steht die selbstschützende Verzerrung, ein Selbstschutzmechanismus, der Misserfolge auf externe Faktoren oder den Zufall attribuiert. Dies bewahrt unser Selbstwertgefühl vor negativen Einflüssen. Durch Attributionstheorie wird erklärt, wie wir dazu neigen, negative Resultate auf Einflüsse außerhalb unserer Kontrolle zu schieben, um Verantwortung zu vermeiden. Das Selbstkonzept hat dabei auch eine motivationale Funktion und trägt zur individuellen Kontinuität bei, indem es verschiedene Schutzstrategien aktiviert, um unser psychisches Wohlbefinden zu erhalten.
Untersuchungen bestätigen, dass solche Mechanismen und Strategien essenziell sind, um das psychische Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Automatische Denk- und Entscheidungsprozesse wie Heuristiken und der Bestätigungs-Bias führen ebenfalls zu einer Verzerrung der Wahrnehmung und des Urteilsvermögens. Diese Mechanismen betonen, wie wichtig es ist, unser Selbstwertgefühl in einem positiven Licht zu halten, selbst wenn dies bedeutet, die Realität ein wenig zu verdrehen.
Self-Serving Bias im Alltag: Beispiele und Auswirkungen
Im täglichen Leben begegnen wir dem Self-Serving Bias häufiger, als uns bewusst ist. Ein anschauliches Beispiel hierfür sind Schüler, die ihre Prüfungsergebnisse unterschiedlich bewerten. Erhalten sie eine gute Note, wird dies gerne der eigenen harten Arbeit zugeschrieben. Fällt die Note jedoch schlecht aus, ist meist der Lehrer oder die angeblich unfair gestellten Aufgaben schuld. Ähnliche Alltagsbeispiele finden sich im Berufsleben, wo Erfolge gerne auf persönliches Engagement zurückgeführt, während Misserfolge auf äußere Umstände wie das Marktumfeld oder Pech geschoben werden.
Diese Attributionsasymmetrie – Erfolge sich selbst zuzuschreiben und Fehlschläge externen Faktoren – kann langfristig zu Selbstüberschätzung und mangelndem Lernen aus Fehlern führen. Somit wiederholen sich dieselben Fehler immer wieder. Zum Beispiel könnte ein Manager Misserfolge seinem Team oder den Marktbedingungen zuschreiben, den eigenen Erfolg hingegen seinem herausragenden Führungsstil.
Die Auswirkungen dieser Verzerrung sind weitreichend und betreffen die persönliche Entwicklung sowie die Entscheidungsfindung. Eine langfristige Konsequenz des Self-Serving Bias ist, dass Individuen weniger aus ihren Fehlern lernen, was wiederum ihre persönliche und berufliche Entwicklung behindert. Sie laufen Gefahr, durch Selbstüberschätzung immer wieder in dieselben Fallen zu tappen.
Betrachten wir statistische Daten, wird klar, dass der Self-Serving Bias tief in unserem Alltag verankert ist. Studien zeigen, dass Menschen im Allgemeinen dazu neigen, ihre eigenen Stärken überzubewerten und Schwächen zu vernachlässigen – ein Phänomen, das als „Above Average Effekt“ bekannt ist. Ebenso legt die Forschung nahe, dass die Neigung, Erfolge intern und Misserfolge extern zu attribuieren, seit den 1970er Jahren intensiv untersucht wurde (Kanning, 2000, 213; Dauenheimer, Stahlberg, Frey, Petersen, 2002, 165).
Alltagsbeispiele, persönliches Wachstum und Entscheidungsfindung sind demnach eng mit den Mechanismen des Self-Serving Bias verknüpft. Bei einer genaueren Betrachtung erkennen wir die Rolle dieser Verzerrung nicht nur in individuellen, sondern auch in kollektiven Entscheidungen, wodurch sich komplexe Auswirkungen auf das gesamte soziale Gefüge ergeben.
Wie der Self-Serving Bias unsere Lernfähigkeit beeinflusst
Die Selbstwertdienliche Verzerrung, bekannt als Self-Serving Bias, kann unsere Lernprozesse erheblich beeinträchtigen. Indem sie Misserfolge auf äußere Umstände schieben und Erfolge den eigenen Fähigkeiten zuschreiben, erschweren wir unsere Persönlichkeitsentwicklung und vermindern die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion.
Lernhindernis durch Externalisierung
Menschen tendieren dazu, eigene Erfolge inneren Ursachen (z.B. eigenen Fähigkeiten) und Misserfolge äußeren Ursachen (z.B. besondere Situationen, Umwelteinflüsse) zuzuschreiben. Diese Tendenz, Misserfolge zu externalisieren, verhindert, dass wir aus unseren Fehlern lernen und sie als Chance zur Persönlichkeitsentwicklung nutzen. So bleibt die kritische Selbstreflexion auf der Strecke, und wir bleiben in unseren Lernprozessen gefangen.
Gefahr der Selbstüberschätzung
Ein weiteres Problem des Self-Serving Bias ist die Gefahr der Selbstüberschätzung. Da Erfolge ausschließlich den eigenen Fähigkeiten zugeschrieben werden, kann dies zu einem unrealistischen Optimismus führen. Dieser verzerrte Blick kann in beruflichen und privaten Situationen zu riskanten Entscheidungen und Fehlkalkulationen führen. Menschen setzen kognitive Ressourcen ein, um Informationen so zu ordnen und zu interpretieren, dass sie ihrer eigenen Logik nicht widersprechen. Wie eine Studie auf wipub.net zeigt, kann dies das Bedürfnis nach Korrektheit stärken und verstärktes Vertrauen in eigene Entscheidungen geben, selbst wenn diese Fehlbar sind.
Indem wir Selbstwertdienliche Verzerrungen erkennen und aktiv daran arbeiten, unsere eigenen Denkfehler zu hinterfragen, können wir unsere Lernprozesse verbessern. Maßnahmen wie das Einbeziehen von verschiedenen Perspektiven und das bewusste Zeitnehmen zur kritischen Selbstreflexion können hierbei unterstützen.
Der Einfluss des Self-Serving Bias auf Investitionsentscheidungen
Der Self-Serving Bias ist eine kognitive Verzerrung, die erheblichen Einfluss auf Investitionsentscheidungen nehmen kann. Wenn Gewinne erzielt werden, neigen Investoren dazu, ihre eigenen Fähigkeiten und Marktkenntnisse zu überschätzen, während sie Verluste oft auf unkontrollierbare äußere Faktoren zurückführen. Dies kann dazu führen, dass Anleger Risiken schlecht einschätzen und aus vergangenen Fehlern nicht lernen. Eine der berühmten Studien, die dieses Phänomen illustrieren, stammt von Daniel Kahneman und Amos Tversky, die durch ihre Experimente zum Ankereffekt bekannt wurden. Bei einem ihrer Experimente beeinflusste ein manipuliertes Glücksrad die Schätzungen der Teilnehmer erheblich, unabhängig davon, dass die Werte des Glücksrads keinen direkten Bezug zur eigentlichen Aufgabe hatten.
In ähnlicher Weise zeigte eine Studie von Englich et al. (2006), dass selbst erfahrene Richter durch Ankerwerte beeinflusst werden können. Diese Vorurteile lassen sich auch auf Investoren übertragen: Ein Investor, der nach einem Gewinn das Gefühl hat, eine „glückliche Hand“ zu haben, könnte dazu neigen, risikoreichere Entscheidungen zu treffen, in der Hoffnung auf erneuten Erfolg. Diese sogenannte „Hot Hand Fallacy“ kann erhebliche finanzielle Auswirkungen haben.
Die Finanzpsychologie hebt hervor, dass Überbewertung des eigenen Wissens und die daraus resultierenden übermäßig optimistischen Anlagestrategien ineffiziente Märkte fördern. Eine empirische Untersuchung von Volker Stinshoff (2020) und die dritte WHU Future Study (2018) unterstreichen, dass Self-Service-Reporting-Tools, die eigentlich zur facilitation datengetriebener Entscheidungen entwickelt wurden, paradoxerweise die Entscheidungsqualität negativ beeinflussen. Erkenntnisse aus Behavioral Finance zeigen, dass solche kognitiven Verzerrungen tief in den menschlichen Entscheidungsprozessen verwurzelt sind und dass Rationalität im Finanzmarkt oft mehr die Ausnahme als die Regel ist.
Es ist entscheidend, sich dieser biases bewusst zu sein, um rationale und gewinnbringende Investitionsentscheidungen zu treffen. Standardisierte Datenverarbeitungsprozesse und objektive Analysen können dazu beitragen, den Self-Serving Bias zu minimieren und somit nachhaltigere finanzielle Entscheidungen zu fördern. Abschließend sei nochmals betont, dass selbst erfahrene Entscheidungsträger nicht immun gegenüber diesen kognitiven Verzerrungen sind und der bewusste Umgang damit der Schlüssel zu erfolgreicheren Anlagestrategien und einem gesünderen Investitionsverhalten ist.
FAQ
Was versteht man genau unter dem Self-Serving Bias?
Welche psychologischen Mechanismen stecken hinter dem Self-Serving Bias?
Wie manifestiert sich der Self-Serving Bias im Alltag?
Welche Auswirkungen hat der Self-Serving Bias auf unsere Lernfähigkeit?
Inwiefern beeinflusst der Self-Serving Bias Investitionsentscheidungen?
Manuela Schiemer beschäftigt sich seit über 8 Jahren intensiv mit Psychologie. Ihre Leidenschaft liegt darin, psychologische Mechanismen und die Beweggründe hinter menschlichem Verhalten zu erforschen. Derzeit arbeitet sie an ihrem ersten Buch, das sich mit kognitiven Verzerrungen (Biases) auseinandersetzt und spannende Einblicke in unbewusste Denkprozesse bietet.